Im Test: Mercedes Atego

Hybrid-Antrieb gegen automatisierte Schaltung mit Start-Stopp-Automatik versus Handschalter. Gesucht. Der kostengünstigste Mercedes Atego für den Verteilverkehr.
Hybrid-Antrieb gegen automatisierte Schaltung mit Start-Stopp-Automatik versus Handschalter. Gesucht: Der kostengünstigste Mercedes-Benz Atego für den Verteilverkehr.

Im Frühjahr präsentierte Mercedes-Benz den neuen Atego. Aber auch der Vorgänger muss sich nicht verstecken. Die Redaktion lastauto omnibus hat Hybridantrieb gegen automatisierte Schaltung mit Start-Stopp-Automatik versus Handschalter unter die Lupe genommen. Mit welchem Mercedes Atego fahren Transportunternehmen im Verteilerverkehr am günstigsten?

Der Mercedes-Benz Atego bietet  im Verteilersegment eine große Variantenvielfalt: Drei Fahrerhäuser, viele Kombinationen von Radständen und Achsübersetzungen sowie zahlreichen Motorisierungen stehen bereit.

Schlägt der Hybrid seine Konkurrenten?

Mercedes wartet in seinem Programm mit einer Hybridvariante des Zwölftonners auf. 44 kW zusätzliche Leistung aus dem batterieelektrischen Antrieb sollen beim Atego 1222 Bluetec Hybrid für deutlich weniger Spritverbrauch sorgen. Wie wirtschaftlich der Atego mit den zwei Herzen tatsächlich unterwegs ist, soll der direkte Vergleich mit dem handgeschalteten Bruder in Blau und einem automatisiert die Gänge wechselnden silbernen Atego klären.

Die drei Testfahrer üben sich zudem in drei unterschiedlichen Fahrstilen. Während Fahrer A möglichst sparsam unterwegs ist, fährt Kollege B zwar leistungsbetont, aber ohne sinnlos das Gaspedal durchzudrücken. Fahrer C indes geht – als praxisnahes Mittel zwischen diesen beiden Extremen – recht unbesorgt der Arbeit nach.

Test finden auf einer 400 Kilometer lange Strecke statt

Die Teststrecke, insgesamt rund 400 Kilometer, umfasst all das, was dem durchschnittlichen Verteiler-Lkw so unter die Räder kommt: einen Stadteinsatz mit reichlich Stopp-and-Go-Anteilen und vielen Abladestellen, eine Etappe Überland zur Versorgung der ländlichen Region sowie einen ordentlichen Autobahnanteil.

Im Stadtverkehr punktet der Hybrid

Zur ersten Disziplin im Verteiler-Dreikampf, dem städtischen Lieferverkehr: Hier zieht naturgemäß das Hybridmodell die Aufmerksamkeit auf sich. Jedes Mal aufs Neue fasziniert der sanfte, aber druckvolle Start des maximal 44 kW starken Synchronmotors. Wie von einem mächtigen Drehmomentband gezogen, setzt sich der Hybride in Schwung. Wenig Vorteile gibt es aber, was die Geräuschemissionen angeht. Die Passanten vernehmen auch weiterhin den Diesel-Vierzylinder, weil der auch im Stand vor sich hin nagelt, um Lenkung  und Luftpresser zu versorgen.
Elektroantrieb benötigt Feingefühl.

Bis 20 km/h lässt sich der 12-Tonner emissionsfrei beschleunigen

Bis fast 20 km/h lässt sich der Zwölftonner nahezu emissionsfrei beschleunigen, bevor der Diesel unter der Kabine die Regie übernimmt. Um den Elektroantrieb ungetrübt auszukosten, bedarf es aber eines zarten Gasfußes. Bei rüdem Beschleunigen ist der 218 PS starke Diesel nämlich sofort zur Stelle, um Vortriebsaufgaben zu übernehmen. Der Dialog zwischen Elektro- und Verbrennungsantrieb gestaltet sich übrigens ausgesprochen harmonisch. Harte Schläge beim Wechsel von Watt zu PS erlebt der Hybridfahrer nicht.

Der silberne Atego mit automatisierter Sechsgangschaltung schlägt sich ebenfalls wacker im Großstadtdschungel. Sein Fahrer kann sich auf das Umschiffen von Passanten und Pkw konzentrieren. Nur beim Ampelstopp verwirrt der Atego den Fahrer mit einer recht langen Wartezeit, bis die Start-Stopp-Anlage den Motor endlich abstellt. Auch der Start bei Grün mag ungeduldigen Fahrerseelen einen Tick zu langsam vonstatten gehen. Der Griff zur Abschalttaste droht.

Nach alter Väter Sitte mit handgerissener Schaltung arbeitet sich der blaue Atego durch die City. Die Schaltung lässt sich leichtgängig und exakt bedienen, trotzdem erscheint der stetige Kupplungstritt mit Gangwechsel im Jahr 2013 wie ein Anachronismus.

Der Hybrid fährt den Sieg in der Verbrauchsbilanz ein

In der Verbrauchsbilanz kann der Hybrid den erwarteten Sieg einfahren. Fast 24 Prozent sparsamer als der handgeschaltete Atego und immer noch 20 Prozent ökonomischer als der automatisiert schaltende Start-Stopp-Atego rollt der grüne Mercedes nach insgesamt neun Stadtrunden ins Ziel. Durchschnittstempo zählt hierbei nicht, auch wenn alle drei Fahrzeuge dieselbe Anzahl von Stopps eingelegt haben. Erwartungsgemäß kommt im Stadteinsatz kein klarer Verbrauchsunterschied zwischen den Fahrernaturen zum Vorschein. Die City-Tour mit überaus wechselhaftem Verkehrsaufkommen und -fluss limitiert das Ausschöpfen des Fahrpotenzials zu stark, um Unterschiede messbar zu machen. Daher gibt‘s hier auch nur einen über alle drei Fahrer gemittelten Verbrauchswert in der Tabelle.
Konkretere Ergebnisse verspricht die folgende Zwei-Stunden-Etappe über einfache und mittelgroße Landstraßen, die alle drei auf knapp zwölf Tonnen ausgeladenen Atego mit sympathisch-komfortablen Schaukeln wie auf einer sanften Dünung unter die Reifen nehmen. Härte ist nicht die Sache des Atego, eher schon ein etwas überdämpftes Fahrverhalten.

Hinzu kommt das pflichtbewusst, aber nicht überambitioniert antretende Pumpe-Düse-Triebwerk. Der Motor fügt sich ins Bild eines gereiften, mit seinen Mitteln klug haushaltenden Arbeiters. Den Fahrern gefällt dieser ausgewogene Charakter, der auch auf den Fahrstil abfärbt. Trotz unterschiedlicher Fahrweisen liegen die Durchschnittsgeschwindigkeiten fast gleichauf. Allerdings – und das überrascht manchen Hybrid-Novizen – kann der Atego den zusätzlichen Elektro-Boost auch auf der Landstraße in Verbrauchsvorteile umsetzen. Mit fast drei Liter geringerem Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer als der automatisiert schaltende Atego und immer noch knapp zwei Liter pro 100 Kilometer unter dem handgeschalteten Mercedes rollt der Hybride als Diesel-Sparmeister über die Distanz. Ein Verbrauchsminus von 14 Prozent, das bei gleichen Fahrleistungen aller Ehren wert ist.

Kleinere Unterschiede auf der Autobahn

Geringer fallen die Unterschiede auf der Autobahnetappe aus. Abgesehen vom fahrerbedingt niedrigeren Durchschnittstempo liegen die drei Atego im Abstand von einem halben Liter auf 100 Kilometer fast gleichauf. Auf der Autobahn kann der Hybride nur beim Auffahren seinen Bonus nutzen. Selbst die extrem hügelige Fernstraßenetappe von Mainburg nach Holledau bietet nur wenig Möglichkeiten zum Rekuperieren und Segeln.

In der Gesamtbilanz knappst der Hybrid über alle Etappen den arrivierten Kollegen über zwei Liter Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer ab. Erstaunlicherweise liegt der silberne Atego mit Telligent-Schaltautomat dabei sogar noch hinter dem handgeschalteten Bruder im Blaumann, der talwärts die spürbaren Vorzüge des Permanent-Magnet-Retarders im Antriebsstrang genießt.
Hybrid-Atego gewinnt – und verliert doch

Die so scheinbar verbrauchsintensivere automatisierte Schaltung fing dagegen erwartungsgemäß die unterschiedlichen Fahrweisen auf und münzte sie geschickt in recht nah zusammenliegende Ergebnisse um. Sprich: Automatisierung tut gut, vor allem wenn unterschiedliche Fahrer mit abweichenden Fahrkünsten am Volant arbeiten.

60 Prozent Aufpreis für den Hybrid

Nicht seine 350 Kilo Mehrgewicht, die das Hybrid-System mit sich bringt, und schon gleich gar nicht die nahezu vorbildlichen Arbeitsmanieren reißen den dieselelektrischen Atego ins wirtschaftliche Verderben. Sein satter Aufpreis von fast 60 Prozent auf den Kaufpreis eines normalen Atego 1222 stempeln den kleinen Mercedes mit den zwei Herzen zum Verlierer. Deshalb taugt der Hybrid bislang mit rund 100 verkauften Exemplaren vornehmlich als Leuchtturmprojekt, das den Weg zu einer vermeintlichen Hybridzukunft weisen soll. Die liegt fortan –  glaubt man den Lkw-Herstellern – aber nicht mehr bei den vormals favorisierten City-Verteilern, sondern vielmehr im Fernverkehr, wo die Kilometerzahl den Mehrpreis endlich einspielen soll.


AS24-trucks_banner-lkw