Kippertest Scania G 440

ETM Verlag
ETM Verlag

Der Scania G440 hat einiges zu bieten. Dennoch ist er eher für den Einsatz auf der Straße gebaut. Ein waschechter raubeiniger Offroader ist er nicht.

Nur 13.400 Kilogramm bringt der G440 leer auf die Waage. Das ist nicht gerade viel für einen solchen Vierachser. Das geschulte Auge erwartet eher eine Tonne mehr. Die schlanke Linie des Scania resultiert zu einem großen Teil aus dem Aufbau von Dautel. Dem reicht fünf Millimeter starker Hardox-Stahl als Bodengruppe. Die Seitenbordwände sind aus Aluminium gefertigt.

Auf der anderen Seite steht der Scania G 440 CB8x4MHZ. Ins Deutsche übersetzt meint dies einen 440 PS starken Vierachser für den mittelschweren Einsatz (M), der mit hohem Rahmen (H) und Blattfederung an allen Achsen (Z) antritt. Wobei Scania unter mittelschwerem Einsatz das versteht, was hierzulande schnöde „Straßenkipper“ heißt. Härtere Einsätze sind nicht gerade das Metier des mittelschweren Scania – schon allein deshalb, weil bei ihm ein Hilfsrahmen fehlt. Aber genau das spart schon einmal kräftig an Gewicht.

Scheibenbremsen sparen zusätzlich Gewicht

Außerdem hat Scania den Kipper ringsum mit Scheibenbremsen ausgestattet. Damit sind die Schweden über ihren Schatten gesprungen. Das spart schon wieder das eine oder andere Kilogramm. Dazu kommen weitere Sparmaßnahmen unter dem Blech. Der Test-Kipper setzt auf EGR statt SCR für Euro 5. Dafür braucht es zwar 13 statt 12 Liter Hubraum, doch kann sich der Scania-Vierachser auf diese Weise den SCR-Kat samt Adblue-Tank sparen: Macht schon wieder ein hübsches Sümmchen an Pfunden, die der G 440 eben erst gar nicht auf die Waage bringt.

Dank all dieser Gewichtseinsparungen bleibt das Eigengewicht des Chassis unter zehn Tonnen – 9,5 Tonnen, um genau zu sein. All das hilft der Nutzlast ungemein auf die Sprünge. Trotzdem tritt der G  440-Vierachser weder bei der Kabine noch beim Triebstrang als klapperdürrer Hungerkünstler an: Die G-Kabine ist gewiss nicht eng geschnitten. Und der 13 Liter große EGR-Motor stellt die Konkurrenten in seinen jeweiligen Leistungsklassen allesamt locker in den Schatten.

Scania macht die Bedienung praktischer

Wie schon von Scania gewohnt, schmiegt sich das Cockpit um den Fahrer. Das gefällt vor allem bei Fahrten über die Autobahn. Im Gelände zählt etwas anderes. Scania hat die umständlichen Kippschalter für die Sperren entsorgt. An ihren Platz treten praktische Drehschalter. Geht’s allerdings im Stand auch darum, mal kurz auf die Beifahrerseite hinüberzuwechseln, wäre ein flacher ausgeführter Armaturenträger natürlich die bessere Wahl. Immerhin steht im Testfahrzeug kein Schaltstock mehr im Weg, denn Scania liefert Opticruise nun auch für den Bau. Mit von der Partie ist dann eine Art Geländemodus.

Innen bietet Scania dem Fahrer noch eine ganze Reihe weitere Annehmlichkeiten. Dazu zählt nicht nur das üppige Platzangebot. Dazu bietet der G 440 Kipper eine kleine Schublade vorn (mit Mini-Ablage oben), mittig auf dem 280 Millimeter hohen Motortunnel der G-Kabine, sowie eine gewissermaßen gerahmte offene Ablage vor dem Beifahrersitz, auf der sich etwas Krimskrams deponieren lässt. Unterm Dach an der Fahrzeugstirn finden sich zudem noch ein paar Fächer, hinten auf dem Motortunnel ist außerdem eine etwas größere offene Konsole mit zwei Flaschenhaltern zu haben. Die sind aber auch vonnöten, denn im Türfach fehlt etwas in dieser Art gleich ganz. Brachland erblickt das Auge dann allerdings hinter den Sitzen, wo also im Freistil gestapelt werden darf.

Stolze 2.300 Nm aus 13 Litern

Im Vergleich zur P-Serie ist der Einstieg etwas höher. Hat der G 440 Reifen der Dimension 385/65 R22,5 aufgezogen, muss der Pilot exakt 1,27 Höhenmeter erklettern. Allerdings beginnt der Aufstieg schon mit der ersten Stufe auf 330 Millimetern. Die liegt damit aber auch in einem sehr gefährdeten Bereich – schlecht für die Langlebigkeit.

Mehr Vertrauen weckt dagegen der Motor. Er stemmt ab 1.000 Umdrehungen 2.300 Nm Drehmoment. Diesen Wert hält er konstant bis 1.300 Umdrehungen. Gleichzeitig liegen dann knapp 430 PS an. Damit stellt der Motor zwischen 1.300 und 1.900 Umdrehungen fast ungehemmt die maximale Leistung zur Verfügung. Wohl wissend, dass Abgasrückführung eben eine gewisse Verbrauchsempfindlichkeit in den oberen Drehzahlen mit sich bringt, haben die Scania-Mannen die EGR-Motoren so ausgelegt, dass Drehzahlen oberhalb von 1.500/min im Prinzip nicht nötig sind. Dem ist auch ein mit 3,93 lang übersetzt Hinterachsgetriebe zuträglich. Im Verein mit dem seinerseits schlank dimensionierten Overdrive-Getriebe GRSO905 kommt so eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 117,5 km/h zustande, die zwar auf der Autobahn moderate Drehzahlen von ungefähr 1.360/min bei 85 km/h sicherstellt. Doch ist der zwölfte Gang somit – 2.300 Nm hin oder her – für die Landstraße so gut wie nicht mehr geeignet: Da orgelt der Motor nur noch knapp oberhalb von 1.000/min herum.

Gang elf für die Landstraße

Bei Landstraßentempo passt der elfte Gang hingegen perfekt. Rund 1.300/min liegen dann an. Damit hat das Fahrzeug alle nötigen Reserven sofort parat. Allerdings kommt dabei sofort wieder die Frage auf, ob es der zwölfte Gang nicht noch etwas sparsamer hinbekäme – wenn die Kraft in dieser Übersetzung denn ausreicht. Scheinbar fragt sich das nicht nur der Fahrer. Auch Opticruise ist in dieser Frage nicht immer ganz entschieden, hält sich jedoch klug und weise vornehmlich an Gangstufe elf.

Dennoch hat der Kipper im Gelände an der insgesamt relativ geringen Spreizung des Getriebes (11,3) zu knabbern. Im ersten Gang rennt der Scania bei 1.900/min bereits mit 10,5 km/h. Damit kommt das Aggregat trotz 2.300 Nm teilweise beim Anfahren in die Bredouille. Darüber hinaus fehlen vernünftige Rangierfähigkeiten, sofern nicht gleich der Crawler in die Pflicht genommen wird. Der ist zweifach vorhanden und mit 13,3 sowie 10,6 übersetzt. Damit erhöht sich die Spreizung des Getriebes auf den endlich auch bei 3,93er-Achse geländetauglichen Wert von 16,4. Trotzdem fehlt es dem G 440 damit immer noch an Biss. Die Endgeschwindigkeit im kleinen Kriechgang beträgt noch 7,1 km/h. Die Rückwärtsgänge sind sowieso sehr lang geraten: Knapp 8 km/h beträgt die Endgeschwindigkeit im kleinen Rückwärtsgang.

Trotz kräftigen Motors enttäuscht der Testwagen im Gelände

Der G 440 stellt sich mit seiner langen Achse selbst ein Bein. Steile Rampen schafft er beladen eher schlecht als recht – und das gerade noch im ersten Gang. Abhilfe schafft nur die unsynchronisierte Crawlerstufe. Immerhin schlägt Opticruise diese Kriechgänge im Gelände selbständig vor. Trotzdem lässt sich die Automatik auch im Geländemodus zu viel Zeit. Was bleibt, ist der freundliche Vorschlag auf dem Display, die Fahrt im Crawler wieder aufzunehmen. Es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, stünde einem Geländemodus allerdings weit besser zu Gesicht.

Der G 440 bietet mit seinen Parabelfedern vorn und hinten ordentliche, wenn auch nicht überragende  Federungsqualitäten – sowohl leer als auch voll. Mit nur einem Stabi im Kellergeschoss (erste Vorderachse) punktet der G 440 eben zwar bei der Nutzlast, erkauft sich dies jedoch mit hin und wieder leicht unruhigem Lauf. Die tadellose Lenkung des Scania hält das Ungemach wohl in sehr engen Grenzen, doch würde zumindest ein weiterer Stabi das Fahrverhalten sicher bessern, ohne die ohnehin üppige Nutzlast des Vierachsers über Gebühr zu schmälern.

Rehabilitation im Testparcours

Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 51,8 km/h im Testparcours muss sich der Scania trotz seiner langen Achse nicht verstecken. Für Lkw in diesem Leistungsbereich ordnet er sich damit gar außergewöhnlich hoch ein. Der Verbrauch liegt bei 56,5 Liter pro 100 Kilometer. Damit ist der verbaute EGR-Motor einem Konkurrenten mit SCR-Technik ebenbürtig. Da sind zwar Werte um 55 Liter die üblich, hinzu kommen jedoch noch zwei bis drei Liter teures Adblue pro 100 Kilometer.

Für den Einsatz auf der Straße ist der Scania G 440 also bestens gerüstet. Er bietet Nutzlast in Massen, beeindruckende Fahrleistung bei vernünftigem Verbrauch sowie eine Kabine, in der bestimmt keine Platzangst aufkommt. Im Gelände stößt das Konzept dann aber schnell an seine Grenzen. Weder der Triebstrang noch die Automatik kommen mit harscheren Gegebenheiten richtig klar.


AS24-trucks_banner-lkw